Lebende Legenden (und ausnahmsweise mal nicht von Elbe)

Ich kann mich noch erinnnern, das WM Finale 2005 zwischen Ma Lin und Wang Liqin habe ich damals sogar auf Video aufgezeichnet. Ich glaube die VHS liegt immer noch irgendwo rum. Shanghai war es, Wangs Heimatstadt, und er konnte letztlich seinen zweiten WM Titel gewinnen. Die beiden haben das Tischtennis in der Zeit, in der ich angefangen habe, mit am meisten geprägt und sie sind eigentlich die Generation, die eine absolute chinesische Dominanz etablierte, hinter der alle anderen Nationen bald sehr weit zurück blieben, von einigen „Ausrutschern“ abgesehen. Sie haben den Weg für die heutigen Ma Longs, Zhang Jikes, Xu Xins und Fan Zhendongs geebnet. Zu den größten Erfolgen der beiden gehörte ganz sicher auch der Triumph bei den Olympischen Spielen im eigenen Land, 2008, auch im Team zusammen mit Wang Hao. Jetzt sind Wang Liqin und Ma Lin, gemeinsam mit vielen anderen chinesischen Topspielerinnen und Topspielern zurückgetreten. Da kann man mal eine kurze Ehrenrunde drehen.

Das soll jetzt keine umfassende Analyse der Karrieren der beiden werden, sondern eher ein persönlich gefärbter kurzer Rückblick. Den Beginn der Karrieren habe ich auch nicht wirklich bewusst miterlebt, dazu habe ich zu spät angefangen mit Tischtennis und mich zu spät intensiver auch für die Weltebene interessiert. Die wirklich erste bleibende Erinnerung ist tatsächlich das WM Finale 2005, das ist live gesehen habe, an ein paar Szenen und Ballwechsel kann ich mich heute noch erinnern. Etwa dass Wang Liqin erst zurück lag, vielleicht etwas mit dem Druck in seiner Heimatstadt zu kämpfen hatte, dann aber mit viel Kampfgeist zurückkam. Bei eigenem Satzball verteidigt er einen Angriffsball nach dem anderen von Ma Lin, der von einer Seite zur anderen des Tisches rennt, getrieben durch die Blocks, die aus reinen Reflexen von Wang entspringen. Zweimal ist sogar Netz durch Ma bei diesem Ballwechsel dabei, ehe Wang ihn entscheiden kann und die Halle tobt.

Wang war schon Weltmeister 2001. Ma bereits 1999 im Finale und unterlag dort nur Liu Guoliang, seines Zeichens heute Herren-Trainer und maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass die Chinesen stehen, wo sie stehen. Die Weltmeisterschaft 2003 war dagegen das letzte Debakel was die Chinesen erlebten, auch Wang und Ma. Wang musste sich in einem dramatischen Match 3:4 gegen Schlager bereits im Viertelfinale geschlagen geben. Ma flog gegen Joo Se Hyuk raus, später Finalist, zu dieser Zeit aber jenseits der Top 50 in der Weltrangliste notiert.

Wang konnte sich 2005 den Titel gegen Ma sichern, der damit immer noch auf seinen großen Titel wartete (wenn man mal den World Cup außen vor lässt, der in China aber quasi als gleichwertig gilt – aber WM oder Olympia, irgendwie ist das doch immer noch mal eine andere Nummer). 2007 zogen wieder beide ins WM Finale ein, diesmal kam Ma als Nummer 1 der Welt. Einen Posten den Wang zuvor für sehr lange Zeit inne hatte. Das Spiel habe ich auch auf Eurosport gesehen, spät Abends in der Wiederholung. Bald dachte ich, Mensch die Übertragung geht eine Stunde, da kommt sicher noch das Doppelfinale irgendwie mit dazu, so deutlich lief es in Richtung Ma. Doch weit gefehlt. Was Wang dann hinlegte war eines der größten Comebacks des Tischtennissports. 1:3 in Sätzen und 1:7 stand es, aber Punkt für Punkt arbeitete sich Wang zurück, drehte den Satz und mit diesem Momentum im Rücken das Ganze Spiel. Er sagte danach in einem Interview, dass er nie daran gezweifelt hätte noch gewinnen zu können. Für Ma war es die dritte Finalniederlage und mit Sicherheit die bitterste. Die Nacht soll er sich weinend in seinem Hotelzimmer vergraben haben, nur sein Coach durfte zu ihm. Wang hatte sich mit seinem dritten WM-Titel aber endgültig in die Ahnenliste der Tischtennislegenden gespielt.

Ma Lin blieb weiter der „Unvollendete“. Sein Spielverständnis und sein Schlagvielfalt suchte in dieser Zeit seines gleichen. Der große Titel blieb ihm aber verwehrt. Erst 2008 sollte er sich seine verdiente Krone aufsetzen können. In Peking bei Olympia konnte er endlich den großen Einzeltitel feiern. Zusammen mit Wang Liqin und Wang Hao holte er dazu noch gegen Deutschland den Mannschaftstitel. Eine Karriere hatte ihren Höhepunkt gefunden.

Wöllte man die Titel der beiden zählen, müsste man hier ziemlich viel Text einplanen – es sind viele, sehr viele. Geprägt haben sie das Tischtennis über einen langen Zeitraum und auch sie lieferten immer mal wieder das ein oder andere Anekdötchen. Ma Lin etwa, der ohne es zu wissen, verheiratet war. Oder Wang Liqin, der in der Satzverlängerung einmal eigenmächtig einen ihm gegebenen Punkt auf der Zähltafel für den Gegner umwendete, weil der Ball an der Kante war, die Schiedsrichter es aber nicht gesehen hatten. Es heißt Ma Lin und Wang Liqin sollen nicht besonders gut miteinander ausgekommen sein, zu unterschiedlich waren dafür die Charaktere. Trotzdem haben sie in Mannschaftsspielen für China zusammen der Tischtenniswelt das Fürchten gelehrt und den nötigen Respekt vor ihren Leistungen abgerungen. Ihre Duelle sind genauso legendär, wie sie als Spieler. Man darf gespannt sein, welchen Weg sie einschlagen, ob sie Trainer werden oder in anderer Weise dem Tischtennissport erhalten bleiben. Im Moment trainieren sie wohl noch mit der Nationalmannschaft bei internen Training.

Auf jeden Fall muss man sagen, dass zwei Ausnahmeathleten zurückgetreten sind, die den Sport geprägt haben.

 

(Zurück getreten sind außerdem Chen Qi, Qiu Yike, Zhang Chao, Li Ping, Guo Yan, Cao Zhen, Fan Ying, Chang Chenchen, Rao Jingwen. Ihnen habe ich mich nicht gewidmet, sonst wird’s aber auch arg lang. Liest ja wahrscheinlich dann auch niemand mehr. Gesagt soll aber trotzdem werden, dass sich auch dahinter viele interessante Geschichte verbergen, wie Chen Qi – der einmal zu einer Woche Arbeit auf dem Reisfeld verdonnert wurde – Qiu Yike, der Boll sensationell 2003 aus der WM warf, oder Guo Yan, die als einzige Chinesin bei der historischen Finalpleite gegen Singapur bei der Mannschafts-WM 2010 einen Punkt machte.)

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