Golden Match | Ein Halbfinale für die Ewigkeit
Heute wurde ein Championsleague-Halbfinale beendet, was es so noch nicht gegeben hat und vielleicht auch so schnell nicht wieder kommen wird. Mit dabei die absolute Tischtennis-Elite (außerhalb Chinas) auf beiden Seiten. Und eine Neuheit, die der Spannung eine zuckerglänzende Kirsche aufsetzte.
Golden Match: Bei Punktgleichstand (3:0 / 3:1 Sieg gibt 3 Punkte, 3:2 Sieg gibt 2 Punkte) nach Hin- und Rückspiel werden bis zu drei Sätze gespielt. Jeder Satz wird von einem anderen Spieler bestritten. Wer zuerst zwei Sätze gewinnt, darf in die nächste Runde.
Hinspiel
Düsseldorf und Neu-Ulm hatten bereits nach dem Hinspiel in Neu-Ulm den Spannungsbogen deutlich aufgezogen. Die beiden Finalisten des deutschen Pokals (damals Neu-Ulm mit einem Sieg) hatten sich ordentlich gegenseitig zugesetzt, am Ende gewann Neu-Ulm 3:2. Die Bühne war bereitet.
Besetzung zum Begeistert-sein
Im Rückspiel waren beide wieder mit der absoluten Topbesetzung am Start. Neu-Ulm mit Japans lautstarken Wunderkind und diversen Chinabezwinger Tomokazu Harimoto, Deutschlands Tokio-Olympialegende Dimitrij Ovtcharov (und andere Olympiaden) und Vizeweltmeister Truls Möregardh. Düsseldorf mit dem durch die Bundesligasaison marschierenden Anton Källberg, Europameister Dang Qiu und einem 41-jährigen an Nummer drei, der wohl auch schon ab und zu mal was gewonnen hat, Timo Boll.
Vorab gesagt, die beiden Mannschaften reizten nahezu alles aus, was das Tischtennisregelwerk so hergibt. 24 von 25 möglichen Sätzen wurden gespielt! Das Publikum in Düsseldorf bekam absoluten Wahnsinn geboten. Düsseldorf war sogar kurz davor, mit 3:0 den Stecker frühzeitig zu ziehen. Aber dann kippte das Spiel.
Beginn einer historischen Nacht
Zuerst konnte Källberg Ovtcharov schlagen. In den Sätzen 1 und 2 noch klar besser und Ovtcharov alles um die Ohren hauend, ging Källberg danach doch zwei Stufen tiefer und Ovtcharov wurde besser und drückte das Spiel in den Entscheidungssatz. Der wird in der Championsleague nur bis zum 6. Punkt gespielt. Källberg kam deutlich aggressiver und sicherer an den Tisch zurück; und machte den Satz mit 6:4 klar.
In den fünften Satz marschierten dann auch Dang Qiu und Tomokazu Harimoto. Aber weil 6:4 nicht knapp genug war, standen sich schließlich beide bei 5:5 gegenüber, bei 6 ist immer Schluss. Dang holte sich Punkt und Spiel.
Der Geruch von Wende
Das wirklich hohe Niveau bis dahin, wollten sich dann Boll und Möregardh von oben anschauen. In einem wahnsinnigen Match konnte vor allem Möregard zeigen, dass es ihm schwerfallen dürfte „Nerven“ überhaupt zu buchstabieren. Das Generationenduell (fairerweise muss man ja inzwischen fast sagen, dass Boll mit 41 eigentlich nur noch Generationenduelle spielt), das im WM-Viertelfinale und im Hinspiel an Möregardh ging, begann diesmal mit einer 2:1 Führung von Boll. Im vierten Satz ging es in eine Verlängerung, die man fast am Stück als Highlight-Video bezeichnen kann, allermindestens was die Spannung betrifft. Immer wieder hatte Boll Matchbälle, immer wieder wehrte Möregardh sie in seiner ganz eigenen, spektaluären Weise ab. Mal segelte Boll nach Totschlag-Monstertopspin aus der Bewegung in die Banden und Möregardh legte den Ball noch auf den Tisch zurück, mal zimmerte der Schwede diverse hyperschwere Schüsse quer über den Tisch. Schließlich holte sich Möregardh das Spiel im Fünften mit 6:4. Die brennende Luft in Düsseldorf roch plötzlich nach Wende.
Harimoto kämpfte sich auch nach 0:2 Rückstand zurück. Er drehte das Spiel gegen Källberg und siegte in einem für diesen Tag schon glasklaren 6:3 im fünften Satz.
Nationalmannschaftskollegenrückspielendspiel
Nachdem es kurz vor einem direkten Weiterkommen für Düsseldorf stand, musste Dang Qiu gewinnen, um sein Team überhaupt die Chance zu sichern, weiter ums Finale spielen zu dürfen. Timo Boll fieberte bestimmt besonders mit, denn nach dem verloreren vierten Satz mit diversesten Matchbällen, liefen sich sicher schon die Alpträume für die Nacht warm.
Doch Dang Qiu hievte gegen seinen Nationalmannschaftskollegen Ovtcharov die Düsseldorfer ins Golden Match. Warum auch immer und entgegen jeglicher Gepflogenheiten an diesem Tag – er machte es in vier Sätzen statt fünf. Es stand Unentschieden nach Hin- und Rückspiel. Die Entscheidung musste mit einem Novum fallen, dem Golden Match. Bis zu drei einzelne Sätze, jeweils von verschiedenen Spielern gespielt.
Golden Match
Zuerst war Källberg gegen Harimoto an der Reihe. 13:11. Dang Qiu startete gegen Möregardh als gebe es kein Morgen, legte schnell mit 7:2 vor. Der Kommentator wollte das Spiel schon fast an Düsseldorf geben. Aber der Schwede kam zurück. Wechselte bei einem Punkt mal flockig die Hände. Ein Punkt Abstand nur noch bei 8:7 für Dang Qiu. Aber die Stimmung in der Halle hielt ihn aufrecht und der Europameister schaffte es, den Satz, das Golden Match und damit das gesamte Halbfinale über die Runden zu bringen.
Ein dem Tischtennissport sehr zu Ehren reichendes Spiel hatte Eingang in die Geschichtsbücher gefunden und mir das dringende Bedürfnis verschafft, nach Durchsicht der Highlights auf Youtube, darüber einen Artikel zu schreiben.
Hier die Partien des Rückspiels in Reihenfolge (der erste Satz des Golden Matches fehlt):
*In Ermangelung eines besseren Bildes in der Kürze der Zeit hab ich einfach das inhaltlich nächste genommen. Die Elbe-Fangemeinde für Boll bei der WM 2017 in Düsseldorf. Ort und zumindest ein Protagonist stimmen also.